An manchen Tagen fällt mir mit der ganzen in wenigen Jahren aufgespeicherten Unlust an den Hohwachter Zuständen ein politischer Kommentar schwer.
Zur Erholung schreibe ich nun einen Beitrag zu einem Werk des Künstlers Curt Stoermer, der nach dem ersten Weltkrieg zusammen mit seinem Freund Schmidt-Rottluff und der Kunsthistorikerin Rosa Schapire einige Zeit in Hohwacht gelebt und gearbeitet hat. Bilder aus jener Zeit sind bis auf das Gemälde „Brandung“, das im Schloss Gottorf verwahrt wird, nicht mehr nachzuweisen. Soweit diese im Besitz des Künstlers verbleiben sind, werden sie mit der Zerstörung seines Lübecker Ateliers im zweiten Weltkrieg verloren sein.
In Hohwacht, so schreibt Stoermer, habe er mit den Freunden „in einer Kate am Strand“ gelebt. Anlässlich einer Schmidt-Rottluff Ausstellung wurde in der Zeitung für die Freunde der Hamburger Kunsthalle ein Foto veröffentlich, dass die drei Freunde an einem Esstisch sitzend abgebildet hat, im Hintergrund eine im oberen Viertel verglaste Schiebetür, wie Anfang des 20 Jahrhundert in bürgerlichen Häusern zwischen Esszimmer und Salon, oder zwischen Salon und „Herrenzimmer“ oder Büro üblich.
Sollte das Haus noch existieren müsste es an diesem innenarchitektonischen Detail zu identifizieren sein. Es müsste sich also um ein größeres bürgerliches Haus gehandelt haben und die Katenromantik ist vielleicht eine künstlerische Ausgestaltung. Das größere Haus dürfte auch für den Empfang der zahlreichen Freunde aus der Malerkolonie Worpswede geeigneter gewesen sein, als eine Kate. Nach Worpswede war Stoermer durch eine Bekanntschaft mit Heinrich Vogeler gekommen, die er in Paris geschlossen hatte und die zu einer intensiven Freundschaft wurde. Vogeler hatte Stoermer auf das bei ihrem Ehemann Otto Modersohn noch fast geschlossen und unverkauft gebliebene Werk der Paula Modersohn-Becker hingewiesen dass von Stoermer nach seinem Zuzug in Worpswede katalogisiert worden ist und mit Förderung des legendären Karl-Ernst Osthaus Anlass zur ersten großen Ausstellung im Folkwang Museum gewesen ist. Die Freundschaft mit Vogeler hatte Stoermer auch bewogen ein Werkverzeichnis der Radierungen Vogelers anzufertigen. Stoermer hat also nicht nur Verdienste als Künstler, sondern auch als Publizist
Über Stoermer haben wir außer seinen Selbstauskünften vor allem dem Lübecker Kunstkritiker, Journalisten Abram Ens Grundlegendes zu verdanken, der mit der Chronik „Kunst und Bürgertum“ einen Abriss des Kulturkampfes hinterlassen hat, den Carl Georg Heise mit der um ihn gescharten der Moderne verpflichteten Künstlergruppe angefacht hatte. Darunter befanden sich neben Stoermer auch Erich Dummer, ein Schüler von Ulrich Hübner, eine Zeitlang Hübner selbst, Alfred Mahlau (Lehrer von Horst Janssen), Asmus Jessen, Leopold Thieme und andere, deren Namen nur noch selten in Auktionskatalogen auftauchen.
Von Stoermer sagt u.a. Ens, dass ein Zug zum Sinnbildhaften, gelegentlich Statuarischen bemerkenswert gewesen sei und davon zeugt auch der hier abgebildete Holzschnitt, der als Zustandsdruck aus dem Jahre 1946 mit dem eigenhändig von Stoermer versehenen Titel „Lust“ kürzlich in einer Auktion für kleines Geld zu haben war.
Es handelt sich um eine Arbeit, deren archaische Wucht den Betrachter in einer monumentalen pyramidalen Konstruktion ineinander Verschlungener kämpfender Männer in aller unmittelbaren Grausamkeit überfällt. Die Verbindung mit dem runden Gebilde legt die Deutung als Sonne nahe, alles weitere zur Ergründung der möglichen Sinnschichten möchte ich dem Betrachter überlassen.